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L'industrie du troisième millénaire

  in WIRTSCHAFTS WOCHE , 30/05/2002 - NR 23

 

„Ich zerstöre Herrschaftswissen", verkündet Ehrmann stolz.
Revue de presse
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REVUE DE PRESSE

KÄNGURUH IM AUTO

Ein Anarchist als Unternehmer : Der lebensfrohe Franzose Thierry Ehrmann mischt via Internetkatalog den internationalen Kunstmarkt auf.

Irrtum ausgeschlossen : In diesem Laden geht es um die Revolution. Marx, Lenin und Mao erwarten den Besucher im Eingangsraum von artprice.com - wenn auch unter Glas und künstlerisch verfremdet. Selbst der Chef, Thierry Ehrmann, Genießer, Unterrnehmengründer und Kunstnarr, trägt die Liebe zum Umsturz deutlich zur Schau.

Rattenschwanzlanges Zöpfchen im ansonsten kurzen, streng nach hinten gegelten Haar, schwarze Kleidung und stets ein flottes Zitat von Edelanarchos wie dem Franzosen Pierre Joseph Proudhon („Eigentum ist Diestahl") oder dem Russen Michail Bakunin („Kampf dem Zwang") auf den Lippen. Ehrmann tummelt sich im Internet und hält das Netz ebenso wie seine Unternehmensgruppe für ein Mittel zur Gesellschaftsänderung.
„Das Internet ist das legitime Kind dieser Anarchisten", glaubt der Dotcom-Revolutionär, „es ist anarchistisch, weil es dem kleinen Cyberbürger die Macht gibt, die großen Konzerne auszubooten, und es ist marxistisch vom ökonomischen Standpunktaus."
Einem Augenblick genießt er das Erstaunen des Zuhörers, dann legt er nach : „Deshalb scheitern Großunternehmen meist daran."
Der studierte Jurist hat nicht weniger vor, als mit dem Web den Kunstmarkt umzukrempeln. Artprice.com, so der Name des von Ehrmann 1997 gegründeten Unternehmens, will der Ahnungslosigkeit ambitionierter Sammler wie kleiner Kunstkonsumenten ein Ende bereiten. „Waffengleichheit" zwischen Sammlern und Händlern will Ehrmann herstellen. „Kein Sammler zahlt einen Wucherpreis, wenn er weiß, wie viel für das Kunstwerk kurz zuvor auf einer Versteigerung bezahlt wurde."


AUF EINEM EHEMALIGEN POSTHALTERHOF im Dorf Saint-Romain-au-Mont-d'Or bei Lyon stellt Ehrmann heute mit rund 70 jungen Kunsthistorikern, Informatikern, Betriebswirten und Theologen die größte Datei über den Kunsthandel zusammen, die es je gab. Jeden Tag tragen seine Leute mehr als 2500 Angaben über das Kunstschaffen und den Markt zusammen und veröffentlichen sie gegen Gebühr im Internet.

Allein für die vergangenen drei Jahrhunderte liegen vier Millionen Versteigerungsergebnisse vor. Heute kommt so gut wie kein Kunstgegenstand mehr unter den Hammer, ohne dass der erzielte Preis aotomatisch an Ehrmanns Lyoner Zentrale mitgeteilt würde. 2900 Auktionhäuser von Dallas bis Kiew beteiligen sich mit infos am Netz des Unternehmers. Die Dateien von Artprice.com Kennen die Lebensläufe von über einer Million Künstlern seit dem 4.jahrhundert und die Preisentwicklung und Umsätze der Werke von 25 000 Kunslern während der vergangenen zehn Jahre.

„Ich zerstöre Herrschaftswissen", verkündet Ehrmann stolz. Mehr als 270 000 Versteigerungskataloge aus den vergangenen 300 jahren bilden die Grundlage der Datensammlung. Seit jahren Kauft der Freimaurer, der neben den Rechten auch Katholische Theologie studierte, die Copyrights für Kataloge zusammen. „Es gibt wenige Märkte, die seit Jahrhunderten so genau dokumentiert sind wie der Kunstmarkt", sagt Ehrmann, „aber die großen Händler behielten ihr Wissen für sich, weil dieses Geheimwissen die Grundlage ihres Gesch¨ftes war"


Der Lyoner Bürgersohn operiert auf einem Wachstumsmarkt. Auf über 20 Milliarden Euro taxieren Experten weltweit den jährlichen Umsatz am Kunstmarkt. Noch 1977 lag das Marktvolumen bei umgerechnet 1,8 Milliarden Euro. In den vergangenen sechs Jahren legte der Markt um jeweils zehn Prozent zu. „Eine Forsetzung des positiven Basistrends ist programmiert", glaubt Wolfgang Wilke, Kunstexperte der Dresdner Bank, „auch wenn es zwischenzeitlich aus konjunkturellen Gründen abwärts gehen Kann."

Schön für Ehrmann : Der Kunstmarkt verlässt seinen Elfenbeinturm. Die Käufer sind zunehmend jünger und weniger wohlhabend. War der typische Sammler 1980 über 50 jahre alt, so liegt sein Alter heute zwischen 30 und bis 40 jahren."Kunst bewegt sich aus dem Raum des Unerschwinglichen in Richtung noch zahlbaren Luxus", beobachtet Artprice-Gründer Ehrmann, „statt 500 000 elitärer Sammler werden wir in wenigen Jahren fünf Millionen Kunstkonsumenten haben.
„Der Markt ist breiter geworden. Fotos, Drucke und Plakate legten in den vergangenen Jahren quantitativ stark zu. Die Durchdchnittdpreise auf den Auktionen sind daher seint 1980 von 15 000 auf etwa 1800 Euro gefallen. Junge Kunstliebhader gehen deutlich lässiger mit den Werken um als ihre Eltern. Werke, die frÜher als Familienbesitz heilig gehalten wurden, kommen zunehmenf unter den Hammer. Statt nach zehn Jahren Verbleibsdauer in den Achtzigern wechseln heute die Werke im Durchsminitt schon nach zwei jahren den Besitzer. Ergebnis : Der Umsatz der Brznche steigt - selbst in Phasen stagnierender Preise.


DIE KONKURRENZ hält sich für Ehrmann in Grenzen. Einziger größerer Wettbewerber ist Artnet.com mit Sitz in frankfurt. Anders als Artprice.com setzen die Deutschen auch abbidungen der Kunstwerke ins Internet.
Ehrmann bietet mehr Daten fürs Geld, ist aber auch teurer. Eine Recherche Kostet in seinem virtuellen Kunsthaus zwischen zwei und sieben Euro. Für eine Gesamtrecherche über einen Künstler fallen zwischen 25 und 50 Euro an. Artnet.com dagegen bietet Paulschalpreise, beispielsweise neun Recherchen für 30 Euro (siehe Kasten).

Ehrmann, der auf dem gesicherten Gelände des Unternehmens mit seinen beiden Söhnen und zwei deutschen Doggen lebt, war schon als junger Mann stadtbekannt in Lyon. Der Vater, Absolvent der Eliteschule Ecole Polytechnique und dem fundamentalistischen Katholischen Geheimorden Opus Dei nahestehend, war Mehrheitseigentümer einer Chemiefirma aus Franfurt. Nach dem Tod des Vaters spielte der gerade 18- Jährige die Interessenten an der Firma gegeneinander aus und erzielte so einen stattlichen Preis. „Damals habe ich die Bedeutung von Marketing begriffen ."

Mit 21 jahren versuchte Ehrmann mit einigen Gleichgesinnten ein Blatt für unterdrückte Nachrichten zu lancieren, zog es angesichts des versperrten Marktes aber vor, einen Audiodienst per Tellefon zu installieren. Zwei jahre darauf legte er sich als links-Kapitalist mit Spediteuren an : Er verscherbelte über Minitel, den französischen Vorläufer des Internets, Transportkapazitäten." Die Pistoleros der speditionsagenturen haben uns eines nachts die Geräte zerschlagen", erinnert sich Ehrmann.

Wenig später bekam er Ärger mit der gilde der konkursverwalter, weil er die Inventarlisten bakrotter Unternehmen ins Netz stellte. Damals lebte Ehrmann mit seiner Kommune in einer alten Köhlerei, gab skandalumwitterte Partys und fuhr zum Ergötzen der Lyoner die Tiere seiner Känguruhzucht, die er nebenher auf dem Gelände betrieb, im Rolls-Royce spazieren.

1987 gelang es dem Juristen, gegen die Widerstände der Anwaltslobby das Daten-bankunternehmen Serveur zu gründen. Serveur, dessen Aktien zu 95 Prozent Ehrmann geh¨ren, liefert vor allem Informatopnen über Gesetzesvorhaben, aktuelle Urteile und fasst öffentliche Bekanntmachungen zusammen. Daneben fungiert Serveur als Holding des Ehrmann-Reiches. Die Gruppe beschäftight inzwischen mehr als 350 Leute.
Artprice.com ist das Flaggschiff der Serveur-Beteiligungen. Das Kunstsinnige Unternehmen ging im Januar 2000, wenige Wochen vor dem März-Crash, an den Nouveau Marché, das Pariser Pendant zum Neuen Markt. Nach einer Kurzeb Blütezeit, die mehr als eine Verdreifachung des Ausgabekurses brachte, musste Artprice.com wie die meisten Internetwerte Federn lassen. Inzwischen hat die Aktie über 90 Prozent ihres Wertes verloren, der Kurs ist einstellig. „Natürlich hat die Internetkrise auch Ehrmann erwischt", meint Louis Thannerberger, der als Chef des Emissionshauses Europe Finance Industrie daxs unternehmen an die Börse brachte, „aber er wird einer der wenigen sein, die das Massaker überstehen". Auch Internetanalyst Guillaume Nattini des Pariser Überlebenschancen für das Unternehmen, „weil Artprice.com im Gegensatz zu vielen Internetfirmen von Gebühren der Nutzer und nicht allein von Werbung lebt".

Ehrmann selbst sieht den Einbruch gelassen. Zum einen zählt er laut dem französischeen Wirtschaftsmagazin „Le Nouvel Economiste" zu den 500 reichsten Franzosen. Zum anderen hat er trotz des schwächelnden Kurses noch immer die Unterstützung eines prominenten Zweitaktionärs : Bernard Arnault, Chef dee Luxusgruppe LVMH und nebenbei der reichste Mann Frankreichs, hält 17 Prozent von Artprice.com.

Als beruhigend empfindet er auch die Tatsahe, dass die Kartellwächter der Brüsseler EU-Kommisson nicht mehr gegen ihn ermitteln. Lange Zeit drohte dem Kunstrebell ein Verfahren, weil er seine Marktmacht monopolistisch genutzt haben soll. Jetzt soll die Klage zurückgezogen werden. Ehrmann : „Die hätten beweisen müsen, dass wir wie ein Monopol agieren." Davon ist der Arnarchounternehmer aber noch ein Stück weit entfernt - zumindest, so lange es Rivalen wie Artnet.com gibt.

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WUNDERLICHS BULLDOGGE

Welche Preise erzielte das 1972 von Paul Wunderlich gemalte Bild „Bulldogge, Spartakistin und Berufsmodell" bei Versteigerugen? Wann und wo wurde es versteigert? Sowohl bei der Nutzung der Web-Seite von artprice.com als auch bei der Seite des deutschen Konkurrenten artnet.com weistraß der Nutzer nach vier Minuten, daas der Schätzpreis dieses Bildes in den vergangene zwölf Jahrenzwischen 8 000 und 22 000 Dollar schwantkte und zurzeit bei rund 15 000 Dollar steht.
GROSSER VORTEIL DER DEUTSCHEN : Meist gibt es Abbildungen der Objekte zu sehen. Artprice.com entschädigt dafür mit der grösseren Breite seiner Übersicht. Thierry Ehrmann und seine Mitarbeiter in Lyon sind sich nicht zu fein dazu, auch Kunstwerke mit Einsteigerpresisen in inhre Datenbasis aufzunehmen.
Schade, daß bei beiden Anbietern die Künstlerbiografien nur eingeschränkt zugänglich sind. Artnet.com verweist die Kunstliebhader nach ungefähr 20 Zeilen auf einen Internetlink, wo nochmals bezahlt werden muss. Auf der Web-Site Artprice.com ist nur eon Teil der Künstler mit einer Biografie vertreten. Und je nach Umfang kostet das Anklicken eines ausführlichen Lebenslaufes bei Artprice.com zwischen 5 und 50 Euro.

Lothar Schnitzler / Paris
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